Kämpferin für Bildungsgerechtigkeit
27.06.2022
Ceren-Latife Tas ist die Erste in ihrer Familie, die studiert. Sie wird mit einem Deutschlandstipendium unterstützt. In diesem Jahr werden die Stipendien am 27. Juni überreicht.
27.06.2022
Ceren-Latife Tas ist die Erste in ihrer Familie, die studiert. Sie wird mit einem Deutschlandstipendium unterstützt. In diesem Jahr werden die Stipendien am 27. Juni überreicht.
LMU-Studentin Ceren-Latife Tas hat es geschafft. Als Erste in ihrer türkischstämmigen Familie hat sie mit dem Bachelor einen akademischen Abschluss erreicht– noch immer keine Selbstverständlichkeit für ein Arbeiterkind mit Migrationshintergrund. Laut Hochschulbildungsreport beginnen überhaupt nur 21 Prozent der Jugendlichen aus Nichtakademikerhaushalten ein Studium, bei Akademikerkindern sind es 74 Prozent. Außerdem brechen sie das Studium doppelt so häufig ab wie junge Menschen aus besser situierten Haushalten.
Tas‘ Erfolgsgeheimnis: Sie hatte im Gegensatz zu vielen anderen das Glück, dass ihre Eltern und Lehrkräfte sie immer gefördert haben. Während sie in der Grundschule noch schüchtern und zurückhaltend war, begann sie dadurch im Laufe der Schulzeit eine starke Persönlichkeit zu entwickeln, erinnert sie sich. Die guten Noten gaben ihr zusätzliches Selbstbewusstsein. Ihr Abitur schloss sie 2015 mit 1,2 ab und erhielt als eine der Jahrgangsbesten ein Stipendium.
Dennoch war im Gegensatz zu Akademikerkindern ein Studium keine Selbstverständlichkeit. „Ich habe mich trotz meiner Schulnoten gefragt, ob ich gut genug bin“, erzählt die 25-Jährige. Es mangelte einfach an Vorbildern. Zudem hätten ihr vereinzelt Menschen aus ihrem Umfeld von dem Schritt abgeraten. Eine Erfahrung, die Akademikerkinder eher selten machen. Erst nach der ersten bestandenen Uni-Prüfung wich die Unsicherheit.
Ich hätte mir vor zehn Jahren ja selbst nicht erträumt, dass ich mal an einer Eliteuniversität studiere.Ceren-Latife Tas
Natürlich war auch trotz BAföG die finanzielle Situation eine Herausforderung. Verbunden mit der Frage: Wie bewerbe ich mich überhaupt auf einen Werkstudentenjob? „Während andere Eltern die Bewerbungen ihrer Kinder lesen, musste ich mich komplett selbst in die Materie einarbeiten“, sagt die gebürtige Remscheiderin. Um sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, arbeitet sie seit sieben Jahren zweieinhalb Tage in der Woche – eine weitere Hürde für Kinder von Nichtakademikern. „Mit einem 20-Stunden-Job, meinem Vollzeitstudium und meinem Engagement bleibt nicht viel Zeit zur Entspannung“, berichtet die Wirtschaftspsychologie-Studentin. Ihr Praktikum in London war für sie regelrecht erholsam, weil sie samstags und sonntags frei hatte. Einen Groll gegen Studierende, die alles von Mama und Papa gezahlt bekommen, hat sie dennoch nicht. „Die Profs sagen nur immer, ein Studium ist ein Vollzeitjob – das geht bei Arbeiterkindern aber nun mal nicht.“ Trotzdem dürfe man sich nichts anmerken lassen, weil einem das sonst wieder als Nachteil ausgelegt würde.
Um andere Schülerinnen und Schüler aus Familien ohne Hochschulerfahrung zu motivieren, engagiert sich Tas seit Beginn ihres Masterstudiums an der LMU bei Arbeiterkind.de. Dort informieren bundesweit über 6.000 Ehrenamtliche an Schulen über die Möglichkeit eines Studiums.
Die 25-Jährige schreibt daher Schulen an und erklärt nach der Zusage vor den Klassen, wie es auch andere Arbeiterkinder an die Hochschule schaffen können. „Am Anfang sind die Schülerinnen und Schüler oft genervt von einer weiteren Pflichtveranstaltung“, berichtet sie. Aber wenn Menschen mit demselben Background von ihrem Werdegang erzählen, das motiviere die Jugendlichen ganz schnell. „Ich hätte mir vor zehn Jahren ja selbst nicht erträumt, dass ich mal an einer Eliteuniversität studiere“, betont Tas. Bei der letzten Veranstaltung seien am Ende so viele Fragen gestellt worden, dass die Zeit nicht gereicht habe.
Das Deutschlandstipendium nimmt viel Druck weg und ist eine große Motivation, weiter ehrenamtlich aktiv zu bleibenCeren-Latife Tas
Die Fragen der jungen Menschen sind teilweise dieselben, die sich Tas gestellt hat, beispielsweise wie der Lebensunterhalt finanziert wird. Andere Fragen sind: Ist studieren nicht unglaublich anstrengend? Und was sage ich meinen Eltern, um sie von meinem Studienwunsch zu überzeugen? Wenn noch Fragen offenbleiben, können sie die Schülerinnen und Schüler jeden ersten Donnerstag im Monat beim Stammtisch von Arbeiterkind.de stellen – auch per Videocall oder E-Mail. Daraus haben sich inzwischen viele langjährige Mentoring-Beziehungen entwickelt.
Dass Tas trotz Studium und Nebenjob noch Zeit für ihre Tätigkeit bei Arbeiterkind.de hat, liegt am Deutschlandstipendium. Das Programm unterstützt unter anderem ehrenamtlich engagierte Studierende und junge Menschen aus Nichtakademikerhaushalten mit 300 Euro im Monat. „Das nimmt viel Druck weg und ist eine große Motivation, weiter ehrenamtlich aktiv zu bleiben“, unterstreicht sie.
Die Stipendiatin würde sich wünschen, dass es viel mehr Stipendienprogramme für Nichtakademiker gibt. „Corona hat besonders Kinder aus bildungsfernen Haushalten hart getroffen“, erzählt sie. Oftmals hätten sich ganze Familien einen Laptop teilen müssen. Auch könnten sich besser verdienende Eltern Nachhilfeunterricht für ihr Kind leisten.
Nach ihrem Master im Sommer macht Tas ein Praktikum in der Tech-Branche, in der sie auch langfristig bleiben möchte. „Soziale Bildungsgerechtigkeit wird aber immer ein Thema bleiben“, verspricht sie, „für das ich mich leidenschaftlich engagieren werde.“ David Lohmann
Förderer werden: Das Deutschlandstipendium an der LMU lebt von der Unterstützung von Unternehmen, Stiftungen oder Privatpersonen. Ihre steuerlich absetzbare Spende in Höhe von 150 Euro pro Monat wird von der Bundesregierung verdoppelt und kommt ohne Abzüge bei den Stipendiatinnen und Stipendiaten an. So können sich junge Menschen auch in Krisenzeiten wie diese ohne Geldsorgen um die Zukunftsfragen unserer Gesellschaft kümmern.